Manchmal ändert sich mit der Perspektive die Welt. Natürlich, will man sagen, ändert sich »eigentlich« nicht die Welt. Was sich ändert, ist nur das, was man von dieser gleich bleibenden Welt sieht. – So weit scheint das offensichtlich, allgemein bekannt und wohl auch akzeptiert. ((Auf dem Blog Metalust & Subdiskurse ist in der Folge eines Eintrags zu Bild & Text eine Diskussion zu der Frage entstanden, ob man Bilanzen unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachten kann. Eine solche Betrachtung entspräche einem Perspektivwechsel. Ein Wechsel der Perspektive allerdings, bei dem nicht so klar ist, welchen Gewinn er bringen mag. Mit der Reihe »Perspektivwechsel« möchte ich versuchen einige Perspektivwechsel ein wenig zu erläutern, – auch um mir selbst ein etwas klareres Bild von den Grundlagen eines Perspektivwechsels im Fall von Ȁsthetik & Bilanzen« zu schaffen.))
Was aber, wenn sich das, was wir von dieser Welt sehen und wie wir über die Welt denken durch den Wechsel einer Perspektive so weit verändert, dass wir vielleicht nicht mehr sicher sind, ob die Welt wirklich so ist, wie sie ist?
Ein schönes Beispiel für einen Perspektivwechsel ist in Alejandro González Iñárritus Film Babel zu sehen. In einem seiner vier Erzählstränge gibt der Film eine unterschwellige und treffende Kritik an der Verwendung des Begriffs »Terrorismus«.
Der Film zeigt nicht, dass der Terrorismus eigentlich so ist – oder vielleicht doch so. Stattdessen zeigt er einen sich aus dem Film scheinbar von ganz alleine ergebenden Perspektivwechsel, der die Sicherheit über den Begriff »Terrorismus« erschüttert.
Ein unglücklicher Zufall lässt den von zwei kleinen marokkanischen Jungen abgegebenen Gewehrschuss zum terroristischen Akt werden. Tatsächlich gleicht die Einordnung des Gewehrschusses als terroristischer Akt dem Versuch das Unerklärbare erklärbar zu machen. Drei Parteien und damit auch drei (fast) von einander unabhängige Perspektiven zeigt der Film:
Die erste Perspektive ist die der beiden Jungen, die in kindlichem Leichtsinn auf einen Reisebus schießen, um das neue Gewehr ihres Vaters zu testen, das angeblich auf 3000 Meter genau trifft.
Die zweite ist die der getroffenen Frau und ihres Ehemannes. Ihnen ist es gleich, wer es war und warum dieser Schuss abgegeben wurde. Ihr einziges Interesse liegt im Überleben der (fast) tödlichen Verletzung.
Die dritte Perspektive ist die der Weltpolitik. In einer Sichtweise, die alles als Wirkung sieht und daher konsequent nach Ursachen sucht, ist kein Platz für den Zufall und es ›muss‹ ein Erklärungsmuster für diesen Zwischenfall geben. Der Begriff des Terrorismus erlaubt eine Einordnung und damit eine Reaktion und Handlung.
»Versuche nie durch Konspiration zu erklären, was auf Chaos oder Inkompetenz zurückgeführt werden muss.« ((Josef Joffe im Tagesspiegel am 6. März 2006))
Der im Film durch die Montage hervorragend inszenierte Perspektivwechsel illustriert, wie die Suche nach ›Erklärung‹ begriffliche Konstruktionen über Ereignisse stülpt stülpen kann, um die Welt wieder begreifbar zu machen. Im Fall des Films ist der Begriff, der eine Erklärung möglich macht der »Terrorismus« und die Annahme einer (bösartigen) Motivation, wo doch die Ereignisse durch bloßen Zufall entstanden sind.
Der Perspektivwechsel, der im Film vollzogen und für den Zuschauer nachvollziehbar gemacht wird, geht weg von dem Bild der Wirklichkeit, das in den (Welt)Nachrichten präsentiert wird und geht hin zu den kleinen, für den Lauf der Welt (fast) unbedeutenden Ereignissen und zeigt auf diese Weise eine Welt des »Terrorismus«, in der kein Terrorismus ist.
Wie oft, so scheint der Film zu fragen, erklären wir Ereignisse, die nicht Wirkung einer Ursache sind? – Wie oft (v)erklären wir den Zufall zu einem geordneten Muster? Die Frage bleibt unbeantwortet; sie muss unbeantwortet bleiben und hinterlässt doch eine Verunsicherung, eine Unwägbarkeit in der Erklärung, die wir für die Welt haben.
post scriptum
Zugegeben: Beim Begriff des »Terrorismus« ist die Verunsicherung durch einen Perspektivwechsel einfach. Zum einen, weil »Terrorismus« ein inflationär gebrauchtes Wort ist. Zum anderen, weil es ein Begriff ist, der durch die Unschärfe seiner Definition ((siehe hierzu auch Das Parlament, Nr. 36, 2006)) wohl dazu verleitet, als Erklärungsmuster für sehr vieles missbraucht zu werden.
Was aber (für mich spannend) bleibt, ist der Beispielcharakter des in »Babel« vorgeführten Perspektivwechsels.