Hinterwelt.net

15. January 2008
Alltag

Perspektivwechsel: Verbitterung

Nun ist es mit der Verbitterung so eine Sache. Für einen Menschen, der noch nicht einmal das dreißigste Lebensjahr berührt hat, ist es enttäuschend und vielmehr noch traurig, einen alten Menschen zu sehen, den man mit dem Wort »verbittert« beschreibt. Wenn ein Mensch, so denkt sich der junge, wenn ein Mensch mit sechzig noch nicht gelernt hat, sich selbst nicht so ganz ernst zu nehmen, dann … Über sich selbst lächeln können, große Sätze zu sagen und im nächsten Augenblick mit einem Lächeln zurück zu rudern, weil man das eigene Pathos, das da gerade einen Satz hat groß werden lassen nicht für voll nehmen kann, weil … ja warum eigentlich?

Wie ist das, wenn Philip Roth in seiner letzten Erzählung »Everyman« schreibt, dass das Alter nicht xy, sondern ein Massaker wäre? Spricht da eine Realität zu mir, die bitter ist, die nicht zu ertragen ist, die ich vor mir herschiebe, weil es doch jetzt noch nicht so weit ist, weil ich ja noch jung bin, zumindest im Vergleich zu den Alten, zu denen, die älter sind als ich? Ist es einfach so, wie allenthalben zu lesen ist, ist es so, dass wir, unsere so sehr auf die Jugend fixierte Gesellschaft den Tod einfach verdrängt? Oder spricht da nicht immer eine Leiden wollende Stimme, die sich der katholischen Demut hingibt und ernst wird, still wird, keine Worte mehr findet und vielleicht einfach betroffen ist, wenn es dann schließlich um das beschließende Thema des Lebens, den Tod geht?

Nein, sie verdrängt nicht. Die Gesellschaft vielleicht schon, aber das sollen andere erörtern; die Haltung der Bitterkeit, sie verdrängt nicht. Im Gegenteil: Sie ist aktiv, sie nimmt ganz männlich das Zepter in die Hand und setzt dem Menschen, der getroffen ist, dem Menschen, der selbst betroffen ist, vom Leid, von der nicht schönen Seite des Lebens, etwas entgegen, das nicht Ohr, sondern Gesprächspartner ist.

Was soll man dem alten Mann, der Frau und Freude am Leben verloren hat, entgegen, wenn statt erwarteter Altersmilde plötzlich ein Satz im Raum steht:

»Man kann viel darüber reden und vieles hoffen, aber eigentlich existiert der Mensch existieren wir alle, habe ich nur existiert, um mich irgendwie fortzupflanzen. Einen anderen Sinn hat das Leben ohnehin nicht.«

Was soll man ihm entgegnen, zumal dieser Mann – so nehmen wir es einmal an – keine Kinder hat. Was soll man ihm entgegen, außer, dass das wohl schon richtig ist und wir aber auch noch ein kleines bisschen, so ein ganz kleines bisschen Spaß im Leben haben dürfen, oder? Der Mann lächelt, vielleicht ist es eher ein Schmunzeln.

Verbitterung. »Der Mensch tut sich schwer mit dem was das Leben von im verlangt: Am … eine Made.«

Ist das Verbitterung? Ist dieser Satz Louis-Ferdinand Célines nicht geradezu eine Verhöhnung des Alters, eine Verhöhnung all der Menschen, die jetzt gerade alt sind? Und überhaupt: Was soll überhaupt diese Verbitterung? Wäre nicht ein bisschen Frohsinn angebracht, jetzt da es Mai ist, – und auch in den Hospizen?

»Der wütendste Roman«

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