Jürgen Habermas meldet sich in der Süddeutschen zu Wort und beklagt die gegenwärtige und vor allem zu erwartende zukünftige Qualität der freien Presse.
Marius Meller vom Tagesspiegel schätzt Habermas, befürchtet aber, dass in seiner Philosophie und wohl vor allem seinem Artikel für die Süddeutsche »ein totalitärer Kern schlummert.«
Soweit habe ich das bei den Bissigen Liberalen gefunden und dort wird auch diskutiert, von welchen Seiten »die freie, qualitativ hochwertige Presse« bedroht ist.
Nun bin ich aber ein Freund von Perspektivwechseln. Und ich denke in diesem Fall macht es Sinn, das von Habermas ja wirklich nicht zuerst diagnostizierte Problem nicht aus der Sicht »von oben«, der Sicht, die die ganze Medienlandschaft auf einmal überblicken möchte, zu betrachten, sondern mal kurz zu der kleinsten Größe im Geschäft der Presse, der Nachricht und ihrer Entstehung zu wechseln.
Das von Habermas aufgegriffene Problem, vielleicht auch Phänomen (?) des Qualitätverfalls, beruft sich auf einige Allgemeinplätze, die zu einem naheliegenden Schluss führen:
Allgemeinplatz #1: Über die Größe des Qualitätsunterschieds innerhalb einer einzigen Zeitungsausgabe, geschweige denn zwischen verschiedenen Zeitungen kann sich jeder Zeitungsleser jeden Tag aufs Neue überzeugen.
Allgemeinplatz #2: Die Qualitätsunterschiede und evtl. sogar ein Qualitätsverlust ist verstärkt zu beobachten, seitdem die Zeitungen in finanzielle Krisen gerieten.
Allgemeinplatz #3: Der Gedanke einer freien kritischen Presse (wie sie eben auch in Habermas “Stukturwandel der Öffentlichkeit” beschrieben wird) verträgt sich nur schwer mit der Vorstellung einer möglichst großen Rendite.
Es scheint nahe zu liegen, die Investoren zu verdammen und (in diesem Gedanken wohl folgerichtig) nach seinem einzigen, irgendwie zu benennenden Gegenspieler, also dem Staat zu rufen. Wenn man aber – wie zu Beginn versprochen – die Perspektive zu der einzelnen Nachricht wechselt, ist das Problem nicht die finanzielle und wirtschaftliche Druck, den eine Zeitung aushalten und meistern muss, sondern die finanzielle Abhängigkeit des Schreiberlings, der die Nachricht schreibt.
Masse statt Klasse
Das schiere Überangebot an Menschen die in den Medien arbeiten wollen hat über die letzten Jahre zu einem Wertverfall dieser Arbeit geführt. Im konkreten Alltag wirkt sich das in der Form aus, dass auf zwei Pauschalisten (Redakteure werden ohnehin nur noch alle Jahre eingestellt) teilweise bis zu tausend (!) »Freie« kommen, die froh sind, wenn sie wieder ein paar Zeilen untergebracht haben. Das sind »Freie«, die weniger frei nicht sein könnten. Denn erstens sind sie nicht Freie aus eigener Wahl und vor allem sind sie im höchsten Maße finanziell abhängig, von dem was sie schreiben.
Während ein Redakteur (so das natürlich verklärte Ideal) in Ruhe an seiner Story arbeiten und recherchieren kann und sich nur über einen längeren Zeitraum für seine Arbeit rechtfertigt, ist der junge wilde Freie vor allem darauf angewiesen möglichst bald wieder etwas unterbekommen zu können. Mehr gedruckte Zeilen, mehr Geld. Wenige gedruckte Zeilen: Nicht nur wenig, sondern zu wenig Geld um zu leben. Man könnte auch sagen: Masse statt Klasse füllt die Kasse.
Was heißt Qualität in einer kritischen Öffentlichkeit?
Letztlich ist aber genau diese finanzielle Unabhängigkeit des Schreiberlings, die Freiheit, in seinen existentiellen Bedürfnissen nicht finanziell abhängig zu sein, eine Voraussetzung, die auch für Habermas »Strukturwandel der Öffentlichkeit« ganz entscheidend ist.
In einer geträumten kritischen Öffentlichkeit, wäre die Öffentlichkeit unabhängig, – gedanklich, weil es Meinungsfreiheit gibt und auch finanziell, weil nur so auch eine gewissermaßen physische Unabhängigkeit möglich wäre.
Über Jahre und vor allem zu der Zeit, als das »Spiel des Lebens« den Journalismus an die Spitze des beruflich Erreichbaren träumte, gab die Anstellung als Redakteur eine quasi finanzielle Freiheit. Der Redakteur hatte eine solide Basis, musste sich nicht um seinen Unterhalt, sondern seine Story sorgen. Eine Freiheit, von der im Alltagsgeschäft der Medien wenig geblieben ist und aller Voraussicht nach noch weniger kommen wird.
Doch um endlich noch einmal auf Habermas zurück zu kommen. Die Unverträglichkeit der Interessen von Investoren mit einer freien kritischen Presse spiegelt sich in der Unverträglichkeit des Wettbewerbsgedankens mit dem Arbeitsmarkt in den Medien. Denn hier belebt der Wettbewerb nur sehr wenig. Der Wunsch von wahrscheinlich Millionen, in die Öffentlichkeit zu treten, Öffentlichkeit zu sein, dieser Wunsch scheitert nur dann und daran, dass mit und in dieser Öffentlichkeit auch der Lebensunterhalt verdient werden soll.
Der allenthalben gehörte Ratschlag lautet: »Du musst hartnäckiger sein. Wer wirklich will, der kommt schon in den Medien unter.« und verschärft somit die Situation noch weiter. Die Löhne sinken, ganz sicher der Dynamik von Angebot und Nachfrage folgend und viele orientieren sich schließlich um. Was übrig bleibt ist ein kaputter Preis für Journalismus, egal ob guter oder schlechter Qualität, begleitet von sagenhaften Floskeln wie: »Als Journalist musst Du eine Wissen haben so weit wie ein Ozean und so tief wie eine Pfütze.«
Nein, in diesem Fall sind es – denke ich – nur sehr bedingt die Investoren die Kaputtmachen. Es ist vielleicht eher die Dynamik der Branche selbst. Und in einem nächsten Schritt vielleicht auch die kostenlosen Angebote im Netz. Vielleicht tragen beispielsweise so manche richtig gute Blogger mehr zum Verfall der Branche bei, als Investoren, mag sein. Aber immerhin sind die meisten Blogger das, was für Qualität der freien Presse steht: Frei, nicht nur gedanklich sondern auch finanziell.
Bei der Gelegenheit: Habe ich schon erwähnt, wie großartig die Korrespondentenberichte in der NZZ sind? ^^