Hinterwelt.net

22. May 2007
Alltag

Wie die Funktionsweise und letztlich auch der Erfolg der Medien, die Medien zum Schweigen zwingt, wenn sie nicht zum Instrument werden wollen.

Öffentlichkeit
Die Frage, wie man in die Medien kommt, ist für zahlreiche Berufe erfolgsentscheidend. Gleich, ob betrunken fahrendes Hollywoodsternchen, oder ein um seine politische Zukunft bangender Generalsekretär der größten Regionalpartei des Landes, für beide ist das »im Gespräch bleiben« zentraler Bestandteil der »Berufspraxis«.

Selbst in solchen Fällen mag es fraglich sein, ob die als groß stilisierten, eigentlich aber kleinen Skandälchen und Sensatiönchen wirklich »Thema« sind, aber letztlich stört sich kaum jemand an diesen Belanglosigkeiten, selbst dann nicht, wenn das Interesse der Öffentlichkeit seinen Fokus auf sie legt.

Strukturell findet sich das Muster, das mit dem Zwang »im Gespräch zu bleiben« verbunden ist, aber auch bei völlig anderen Gruppen wieder, deren Interessen und Tun alles andere als belanglos ist.

Hamas
Dass Öffentlichkeit instrumentalisiert wird, ist kein Geheimnis. Wie brachial Medien instrumentalisiert werden, kann man an der Erklärung eines Sprechers der Hamas sehen, die er gestern Abend nach dem Raketenangriff auf Sderot während des Besuchs von Javier Solana abgegeben hat.

Bettina Marx (BR) berichtete für das ARD-Hörfunkstudio Tel Aviv:

»Ein Sprecher [der Hamas] erklärte, man habe die Rakete zur besten Sendezeit abgefeuert, um damit in die Hauptnachrichtensendung des Israelischen Fernsehens zu kommen.«

Schon hier stellt sich mir die Frage, in welche Rolle hier mediale Öffentlichkeit gedrängt wird. Berichtet man nicht, kommt man seinem Selbstverständnis als Informationsquelle nicht nach. Berichtet man, erfüllt man exakt die Rolle, die einem zugeschrieben wurde. Eine Dilemmasituation.

Geiseln im Irak
Noch deutlicher wird das Dilemma in einem dritten Fall, den Entführungen im Irak.

»Das Auswärtige Amt bat um Verständnis, dass es keine Details nennen könne. Dies sei im Interesse der möglicherweise Entführten und ihrer Angehörigen. Der Ministeriumssprecher appellierte an die Medien, auf alle Spekulationen zu verzichten.«

Es scheint so zu sein, dass durch mediale Aufmerksamkeit die Überlebenschance der Geiseln sinkt. Die Logik der Entführer und der Zwang »im Gespräch zu bleiben« kehrt sich hier in die Perversität, dass nur bei großem Interesse der Öffentlichkeit eine Ermordung zur Option wird. Überspitzt könnte man sagen: Mit jeder Schlagzeile steigt der Preis für die Geiseln und sinkt die Chance des Überlebens.

An diesem Punkt angelangt, kann man die Frage stellen, ob die Medien, gerade weil sie so gut funktionieren, so gut in der Lage sind Ereignisse zum Gespräch der Öffentlichkeit zu machen, — sind Medien, weil sie so gut funktionieren, damit konfrontiert, dass ihr ureigenes Interesse als Berichterstatter in Konflikt gerät mit ihrem Interesse (und auch der Verantwortung?), das Berichterstatter als Teil der Öffentlichkeit eines Landes haben? Ein klassisches Dilemma?

Alan Johnston banner Vielleicht kann man diese Frage so stellen. Vielleicht ist die Frage falsch gestellt. Wenn aber nicht, dann frage ich mich, wie man sich aus diesem Dilemma befreit, — gerade auch in Hinblick darauf, dass erst vor kurzem wieder ein Journalist entführt wurde?

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