Es wäre uns lieber, wir hätten unseren Nachbarn, den Würstchenbudenbesitzer im Ruhestand, nie gekannt, als zu erfahren, dass er gerade die größte Dichtung seiner Zeit hervorgebracht hat.
V. Nabokov: Lolita.
Es wäre uns lieber, wir hätten unseren Nachbarn, den Würstchenbudenbesitzer im Ruhestand, nie gekannt, als zu erfahren, dass er gerade die größte Dichtung seiner Zeit hervorgebracht hat.
V. Nabokov: Lolita.
Gestern Abend: Glauben tun wir alle, die einen an das eine, die anderen ans andere, so scheint’s zumindest, scheint es mir.
Gestern Abend also über Glauben … Haben wir diskutiert? Nein, diskutiert haben wir nicht, vielmehr uns gegenseitig unserer Sympathie versichert. Weichspülgang, sich beweihräuchern und in der Gruppe gegenseitig selbst bestätigen. Kontrastprogramm, nicht nur zu Richard Dawkins Versuchen (gefunden via philoblog und mario sixtus) in zwei 45minütern im Fernsehen zu zeigen, was schon zu viele versucht haben. Er wollte in „The Root of All Evil?“ (hier erster Teil, zweiter Teil Leider sind die beiden Folgen auf video.google.com und youtube.com nicht mehr vorhanden.) zeigen, weshalb der Glaube nicht gut, vielleicht besser: dumm ist. Etwas dümmlich, fast naiv erschien mir aber vor allem seine Argumentation. Weshalb?
So gehen die Menschen dahin; sie haben wirklich ihre liebe Mühe damit, zu tun, was man von ihnen verlangt: In der Jugend ein Schmetterling sein, am Ende eine Made.
L.-F. Céline: Reise ans Ende der Nacht.
Der Papst ist in der Stadt. Oder vielmehr: Er kommt heute in die Stadt. Vielleicht ist er schon gelandet, vielleicht als Vogel noch in der Luft, – wohin ihn ja auch der Glaube trägt. Zumindest hat das der Hirte der Hirten, als er nur ein Hirte mit weniger Hirten unter sich war … Als er noch Joseph Ratzinger und Kardinal und fehlbar war, da sagte er in einem Fernsehinterview, der Glaube gäbe ihm das Gefühl ein Vöglein zu sein. »Hoch hinaus, in die Lüfte« sagte er. In der Luft ist er wohl noch. Bald wird er landen, dann nicht mehr als Vogel, sondern als Hirte.
Soll man den Hirten wörtlich oder als Metapher nehmen? Jedenfalls frage ich mich, ob es eigentlich Hirten auf dem Land gibt, die sich organisieren und Hierarchien bilden? Und ich frage mich, ob Schäflein nicht durcheinander kommen, wenn plötzlich so viele Hirten vorhanden sind, die sie behüten wollen?
Wie auch immer — vielleicht ist der Oberhirte schon gelandet. Vielleicht ist der Verkehr schon zum Erliegen gekommen, weil die Schäflein über die Straße müssen. Alles ganz wie auf dem Land. Wenn wir schon bei Schafen sind, ist es auch nicht mehr so weit zum Wolf im Schafspelz, denn unter den Schafen, da könnte auch immer ein Wolf sein. Vielleicht gar einer, der Kreide gefressen hat. Und auch für den Hirten gibt es eine Verwandlung: Dann, wenn der Hirte in seinem Mobil durch die Herde fährt und alle Schäflein ganz durcheinander bringt, dann verfehlt der Hirte nicht nur seine Aufgabe, die Herde zu leiten, sondern er ist dann auch wieder zum Vogel geworden. Diesmal nicht hoch hinaus, in die Lüfte, sondern eher im Käfig:
Ein zartes Vöglein will beschützt sein.
Und manchmal, manchmal muss anscheinend auch die Stadt vor den Schafen und ihren Hirten beschützt werden. Zumindest lässt das die Bekanntgabe der Bayerischen Staatsbibliothek vermuten:
»Am Samstag, den 9. September 2006 muß die Bibliothek wegen des Papstbesuches aus Sicherheitsgründen ganztägig geschlossen bleiben.«
—
post scriptum
Nett, daß eine alte und ehrwürdige Institution, wie die Bayerische Staatsbibliothek trotz aller staatlichen Weisung einfach bei der alten Rechtschreibung bleibt. Zumindest schreiben sie »muß«, wie ich hier »daß« geschrieben habe. — Vielleicht eine Form ziviler Ungehorsamkeit?
Wenn auf einer Abschlussfeier eines Studienjahrgangs Menschen, die nicht älter sind als ich, Menschen, die sogar eher noch jünger sind als ich … – Wenn junge Menschen zu Musik feiern, saufen, ausrasten und schließlich, als das Lied aus ist auch kotzen … – Wenn junge Menschen, Bekannte von mir zu Musik feiern, die ich aus meiner Kindheit, aus der Plattensammlung meines Vaters kenne, dann macht mich das traurig. Nicht, dass „Oldies“ schlecht wären. Wer bin ich das zu sagen. Nur die Rat- und Phantasielosigkeit, die hinter dieser Musikwahl steht, erschreckt mich. Meine Eltern sprechen immer von der Musik ihrer Jugend. Für mich ist diese Musik die Musik meiner Eltern und wahrscheinlich mag ich sie deswegen so gerne. Nur, was werden all diese Menschen ihren Kindern erzählen, von der Musik ihrer Jugend? Was hätte ich als kleines Kind gedacht, wenn meine Eltern die gleiche Musik als die Musik ihrer Jugend bezeichnet hätten, wie meine Großeltern?
Als alle betrunken sind und noch mehr trinken wollen, fällt der Blick auf den einzigen, der den ganzen Abend nur Wasser getrunken hat: Ob ich noch fahren kann? Also steige ich in dieses Auto, das der Junge von seinen Eltern zum Studienabschluss bekommen hat. Ganz neu ist es und riecht auch so. Er macht sich sorgen, ob ich Autofahren kann. Ich mache mir sorgen, ob ich vielleicht so fahre, dass er in sein schönes Auto kotzt. Jedenfalls schaltet sich das Radio ein und da steht der Name eines Senders, der mir nicht gefällt. Dass er mir nicht gefällt, tut nichts zu Sache. Interessanter ist, dass dieser Sender seine Zielgruppe mit 45+ angibt. Ist ein mit wohlhabenden Eltern versorgter Jugendlicher alternativ, wenn er diesen Radiosender hört? Vielleicht aber besonders reif, seinem Alter einfach voraus? Wahrscheinlich eher letzteres.