Hinterwelt.net

1. March 2007
Angedacht

Hat irgendjemand gezählt, wie viele Artikel, Essays, Diskussionen, Interviews in den letzten Wochen und Monaten erschienen sind? Will das jemand zählen? Heute veröffentlichte Wolf Lepenies in der Welt einen Essay zur erneuten Standortbestimmung und Rechtfertigung der Geisteswissenschaften – in diesem Fall: an der Technischen Universität Berlin, wo die Abschaffung dieser Fächer aber bereits beschlossen ist ((In dem Papier Strukturelle Veränderungen in der Technischen Universität Berlin 1997/98 heißt es:
»Die Unabdingbarkeit geisteswissenschaftlicher […] Disziplinen für eine Technische Universität kann sich zum einen aus Synergieeffekten für die Entwicklung der Technikwissenschaften ergeben. […] Zum anderen kann sich diese Unabdingbarkeit aber auch herleiten aus der Bedeutung der Fächer für die Lehre […]«
Im Grunde sagt das bereits all’ das, was Herr Lepenies in seinem Essay schreibt. Vielleicht wäre es ja sinnvoll gewesen, zu Fragen, was sich in den knapp zehn Jahren an der Welt und dem Weltbild so sehr geändert hat, dass man die Fächer heute nicht mehr braucht.)) … vielleicht sollte es ein Nachruf werden. Stattdessen bietet er uns nur einen weiteren Aufruf an die Geisteswissenschaften, sich selbst »neu zu disziplinieren.«

Es mag an meiner eigenen, vielleicht versch(r)obenen Sicht liegen, dass ich dachte, diese Disziplinierung erfolge gewissermaßen von alleine, — auch ohne Apologien, die in großen deutschen Zeitungen veröffentlicht werden.

Es mag auch an dieser versch(r)obenen Sicht liegen, dass ich im Bekanntenkreis auf die Frage nach dem »Nutzen« bisher immer sehr kurz geantwortet habe:

Nun letztlich ist die Frage nach dem »Nutzen« der Philosophie und der Geisteswissenschaften wohl eine Frage, die auf das Verhältnis von Theorie und Praxis abzielt. Im konkreten Beispiel: Wie war das mit der Demokratie? Gab es die bereits und dann hat jemand eine schöne Theorie dazu gemacht? Oder war es andersherum?

Es mag sein, dass die Sicht der Hochschulpolitik eine wenig beneidenswerte und ungleich differenziertere ist, wenn es um das Verteilen der Finanzmittel geht, aber mit dem Vorschlag Wolf Lepenies zur Neubesinnung und -orientierung der Geisteswissenschaften, werden bestimmt keine Goldtaler für die Forschung aus dem Himmel fallen:

Heute wäre über die Seele im Zeitalter des Internet nachzudenken, über den Menschen in der Ära von Google, von Web 2.0 und »Second Life« – der virtuellen 3D-Welt, in welcher wir uns eine alternative Existenz aufbauen können.

Na, siehste, das wird schon diskutiert, das ist wirklich nix Neues und auch nix Inovatives. Das wurde ansatzweise sogar schon hier, in dieser kleinen Hinterwelt angedacht.

Ein Kommentar

  1. In einem Programmheft des “Haus der Kulturen der Welt” in Berlin war über eine Darbietung traditioneller Sakralmusik tibetischer Mönche zu lesen, es würde sich um “archaische Musik ohne Strukturen” handeln. Der Text wurde offensichtlich von jemandem geschrieben, der nicht in der Lage war, die strengen, aber eben sehr andersartigen Strukturen dieser Musik zu erkennen.
    Der von der Musikindustrie erfundene Begriff “Worldmusic” suggeriert, dass nun jeder ein Experte sei. Tatsächlich handelt es sich aber um westliche Popmusik mit einigen Stilelementen ethnischer Musikarten, die unserer Metrik und unserem Tonsystem angepasst wurden.
    Erst wenn wir erkennen, warum sich unterschiedliche Kulturen gar nicht verstehen können, sind wir in der Lage, Schritte zu unternehmen, um uns zu verstehen. Wir benötigen nach wie vor Experten in der Volksbildung und als Vermittler zwischen den Kulturen.
    Ich bin Musikethnologin (Vergleichende Musikwissenschaft) und durch Einsparungen bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz arbeitslos geworden. Wer weiß einen neuen Wirkungsbereich für mich? Ich bin flexibel.

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