Gestern Pressefreiheit, vor einer Woche Selbstverstümmelung.
— Qualität im deutschen Journalismus.
Manchmal treffen Ereignisse auf eine Weise zusammen, die man ironisch nennen könnte: Während der Bundesgerichtshof im Fall Cicero zu Gunsten der Pressefreiheit entschied, wird im Netz über einen Beitrag der Magazinsendung Panorama diskutiert, dessen journalistische Qualität nur mit miserabel zu bezeichnen ist.
Bei Cicero haben sie allen Grund zum Feiern. Nicht nur dort wurde die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts begrüßt. »Eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse [ist] für die moderne Demokratie unentbehrlich« lautete es schon im Urteil zur Spiegel-Affäre. Und diese Tradition einer vierten Gewalt im Staat, die dem Bürger eine kritische Aufklärung ermöglicht, soll auch im 21. Jahrhundert fortgeschrieben werden.
Doch während die einen Feiern, weil die Freiheit gerettet gestärkt wurde, schütteln andere (lesenswert) den Kopf angesichts der Verwahrlosung, die selbst im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, zu bestaunen ist.
Was hat die Redaktion von Panorama bloß geritten, als sie diesen Beitrag absegnete oder am Ende vielleicht die Fernsehjournalistin Sonja Mayr zum Aufpeppen ihres Beitrags nötigte? ((Wie im Fernsehen, so im Hörfunk: Das Schneiden des Beitrags ist heikel und die Grenze zwischen Wahrhaftigkeit und Entstellung schmal; und anders geschnitten, prägnanter, dramatisierender, ist ein Beitrag schnell – manchmal auch tendenziös auf platteste Weise … Hinzu kommt, das zuarbeitende Journaliten (Sonja Mayer erscheint nicht in der Liste der Panorama-Radaktion) meist einem größeren Druck zur “Vermarktung des eigenen Beitrags ausgesetzt sind.))
In dem Beitrag geht es um Computerspiele der Kategorie »Ego-Shooter«. Man kann darüber streiten, ob der Name »Killerspiele« gerechtfertigt ist, man kann auch darüber diskutieren, ob sie verboten werden sollen oder nicht, doch manchmal erliegen die Streithähne wohl dem Eifer des Gefechts. Dabei hätte ein Blick der Redaktion der Sendung Panorama in den Pressekodex doch schon genügt. Gleich zu Beginn heißt es:
Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.
Auch an dieser Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit liegt es, dass man im Journalismus gewöhnlich versucht anständig zu recherchieren. Dass dies im fraglichen Beitrag zu den Killerspielen noch nicht einmal im Ansatz passiert ist, zeigen die schlicht falschen Informationen, die der Beitrag gibt. Darüber hinaus wurden allem Anschein nach Interviews so geschnitten, dass die Aussagen der Interviewten aus dem Kontext gerissen wurden und diese in ihrer Gegendarstellung nun rechtliche Schritte in Erwägung ziehen.
Diesen Beitrag kann man wohl als einen Verstoß gegen den Pressekodex des Presserats sehen. Der bereits zitierten Stelle im Pressekodex folgt:
Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.
Ärgerlich, möchte man sagen, dass ausgerechnet die gebührenfinanzierte ARD (genauer: der NDR) mit einer ihrer Vorzeigesendungen dem Verlust von Ansehen und Glaubwürdigkeit des Journalismus Vortrieb leistet. Die Frage, die sich mir auch stellt: Kann es wirklich im Interesse der Bürger und des Staates sein, Journalismus dieser Qualität, als vierte Gewalt im Staat zu wünschen?
Die Lösung ist wahrscheinlich einfach: Der Redaktion und vor allem denjenigen, die den Beitrag abgenommen haben, sollte man das Trainingshandbuch Recherche für 17,90 € des Netzwerk Recherche und eine Kopie des Pressekodex besorgen. ((Beides besitzt die ARD und wohl auch die Panorama-Redaktion bereits. Nur ist es auch nicht unbekannt, dass solche Bücher gerne in unteren Schubladen und Regalfächern verstauben.))
Oder — und das ist sogar nicht mit Kosten verbunden:
Liebe Panorama-Redaktion, bei Ihren (von mir hoch geschätzten) Kollegen vom Deutschlandfunk konnte man am 8. Dezember 2006 eine 43minütige Sendung über »die Kultur und Soziologie von Computerspielen« von Maximilian Schönherr hören. Ich möchte Ihnen diesen Beitrag empfehlen. Dieser Beitrag ist nicht nur ein gutes Beispiel für die Möglichkeiten des Hörfunks, sondern vor allem ein Beispiel für Qualität, die mit dem Siegel »öffentlich-rechtlich« verbunden wird wurde. Nehmen sich sich ein Beispiel daran … und dann, — nur dann bin ich gerne Freund der vierten Gewalt und freue mich über das Urteil des Bundesgerichtshofs.
Die Kultur und Soziologie von Computerspielen
Sendezeit: 08.12.2006 19:14
Autor: Schönherr, Maximilian
Programm: Deutschlandfunk
Sendung: Dossier
Länge: 43:40 Minuten
nachtrag
und als ob das alles noch nicht genug gewesen wäre, scheint die Firma Pan-Amp auch noch ein Rolle in diesem Beitrag zu spielen, die mich die Augen reiben lässt. (Gefunden via netzpolitik.org) Eine Firma, die Netzfilter herstellt und so durch das eigene Geschäfts(potential) ein großes Interesse an einer Filterung des Netzes hat, setzt sich für ein Verbot ein, dass nur über Netzfilter ernsthaft zu verwirklichen ist. Das ist Teil eins. Teil zwei der schmierigen und unglaublichen Geschichte: Eben diese Firma hat anscheinend den halben Beitrag beigesteuert … Muss man noch etwas hinzufügen, zum kritischen, unabhängigen und investigativen Journalismus? — Vielleicht: Wo bist du?
2 Kommentare
11:47 Uhr
[…] auch die ÖR der ätzenden Meinungsmache hingeben. Vor über einem Jahr gab es da den Fall Panorama (Stichwort: Killerspiele). Panorama: Eine Sendung, die ihrem Namen gerecht eher den Weit-, als den Tiefblick hat und trotzdem […]
18:39 Uhr
[…] Wahrheiten verbreiten, die eben nicht wahr, vielleicht sogar erfunden sind. Erst vor drei Wochen lieferte Panorama Falschinformation vom Feinsten zu den »Killerspielen«. Letzte Woche trinkt sich ein Jugendlicher ins Koma und alle, wirklich alle springen auf den Zug […]