Hinterwelt.net

18. March 2007
Angedacht

Es ist ein alter Hut, über die Skandalgeilheit der Medien zu lamentieren. Zu abgebrüht ist der Medienkonsument. Und während dem Bildleser die Skepsis über Jahre zur Natur geworden ist, weil er sich daran gewöhnt hat, nicht alles zu glauben, was dort steht, und der Griff in den Zeitungsständer schon längst neugierig und ungläubig zugleich geworden ist, — »Ui, wirklich, haben wir wirklich nur noch 13 Jahre?« — stehen auf der anderen Seite die Leser der Abonnentenzeitung und braven Konsumenten des Gebührenfernsehens mit schon gebildeter Meinung, denen ich (pauschal) ein weniger kritisches Verhältnis zu dem was sie da lesen, sehen oder hören, unterstelle. Und ich ertappe mich selbst dabei: Im Gegensatz zur Bild begreife ich die »seriösen« Medien nicht als Unterhaltung sondern als Information. Wenn ich über einen Krieg lese, glaube ich zu recht, dass er wirklich stattfindet, dass dort wirklich eine Bombe explodiert ist, dass sich die Außenminister wirklich getroffen haben. Kurz: Ich nehme die Welt über Medien wahr und bilde mir so über die Medien vermittelt ein Weltbild.

Wie oft passiert es aber, dass die »seriösen Medien« Wahrheiten verbreiten, die eben nicht wahr, vielleicht sogar erfunden sind. Erst vor drei Wochen lieferte Panorama Falschinformation vom Feinsten zu den »Killerspielen«. Letzte Woche trinkt sich ein Jugendlicher ins Koma und alle, wirklich alle springen auf den Zug auf: Die Jugendlichen trinken sich zu Tode, Flat-Rate-Trinken, der neue Trend und so weiter undsoweiter usw.

Während die einen über den Sinn oder Unsinn von Gesetzesänderungen diskutieren, sagt der Gesundheitsexperte Wolfgang Settertobulte im taz-Interview:

Nach den neuesten Daten hat der Alkoholkonsum unter Jugendlichen drastisch abgenommen. Gerade das regelmäßige Trinken, etwa in der Kneipe, wird seltener. […] Auch das Rauschtrinken hat nachgelassen, wenngleich nicht ganz so stark wie das regelmäßige.

Ist der ganze Schlagzeilenhype um den Alkoholkonsum der Jugendlichen in Deutschland also bloß eine Ente? Keine Ahnung, kann ich nur sagen. Aber ganz unwahrscheinlich ist es nicht, denn der Schritt von der Agenturmeldung »Jugendlicher hat sich ins Koma gesoffen« hin zu »Ich mach ein/e/n Feature/Reportage/Beitrag zum krassen Alkoholkonsum der Minderjährigen« ist in den Redaktionen klein, wenn das Muster vom aktuellen »Aufhänger« zum allgemeinen Thema als Grundkonzept der journalistischen Themenfindung gepredigt wird.

Hin zum Allgemeinen. Schritt zurück. Es ist gleich, ob nun so oder so. Wenn Herr Settertobulte aber recht hat, wenn sein Bild die Welt ein bisschen besser repräsentiert, dann stellt sich einmal mehr die Frage, was von dem Bild zu halten ist, das die Medien, die seriösen, vermitteln, tagtäglich, rund um die Uhr. — Wenn man die Welt als Gegenstand annimmt, der von den Medien abgebildet werden soll, gleich einer Photographie, dann sollte man im gleichen Atemzug sagen, dass auch das Kino abbildet, indem es photographiert. Im Kino ist sich jeder bewusst, dass Bildretusche, Bildmontage und Inszenierung das verändern, was wir sehen, indem es verändert, wie wir es sehen.

Diese Analogie ist nicht unproblematisch, aber vielleicht deshalb denkenswert, weil wir beim Film wahrscheinlich kritischer sind, als bei den Tagesthemen. Und eigentlich sollte es anders herum sein, oder?

nachtrag
zu den Grenzen der Analogie: Wenn wir einen Film Michael Moores sehen ist das vielleicht anders, aber das ist dann nochmal eine andere Geschichte.

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